Ein Blog über dies und das und andere Nebensächlichkeiten...

Schlagwort: Mið-Bergvatnsá

Der sandige Teil, Mittwoch, 24.7.

Raimunds Wecker läutet wie abgemacht um 6:30 Uhr. Bis wir dann aber ernsthaft ans aufstehen denken ist es bereits 8:15 Uhr. So wichtig ist das aber auch wieder nicht, denn es stehen heute keine grösseren Furten auf dem Programm. Wir wollen einfach so weit kommen, dass wir morgen bis um 15 Uhr die Ringstrasse erreichen können. Der Himmel ist weiterhin strahlend blau und aus Nordost bläst immer noch der gleiche starke Wind, wie in dem letzten Tagen. Zum Glück haben wir ihn meist genau im Rücken. So stört er nicht gross.
Um 10 Uhr gehts dann gleich in den ‚Badelatschen‘ los, denn die erste Furt ist ja keine 100 m entfernt, also gleich um die Ecke. Die Mið-Bergvatnsá stellt, wie bereits gestern festgestellt, kein ernsthaftes Hindernis dar. Zudem der Pegel, wie wir an unserem gestern Abend ausgelegten Stein feststellen können, um gut 15 cm zurückgegangen ist. Mit trockenen Füssen und in den Wanderschuhen gehts dann gleich bergauf. Wir wechseln in südwestlicher Richtung ins Tal der Vestri-Bergvatnsá, dem sogenannten Beinadalur. Vor dem Hauptarm steht uns noch ein Nebenarm im Weg. Dieser ist sieht zwar völlig harmlos aus, ist aber doch so breit und tief, dass ein Schuhwechsel nötig wird. Danach queren wir gleich in Unterhosen und Sandalen (zum Glück sieht uns hier niemand ;-)) ein kleines Lavafeld hinüber zum Hauptarm. Dieser führt zumindest zur Zeit viel mehr Wasser als die Mið-Bergvatnsá, ist aber trotzdem noch problemlos zu furten.
Nach einer kurzen Pause gehen wir nun in westlicher Richtung weiter. Ein Pass führt in das nächste Tal, den Langagil. Im Aufstieg stehen wir dann plötzlich vor einer tiefen Schlucht, die auf der Karte so nicht zu erkennen war. Eine Umgehung erscheint uns zu weit. Nach kurzer Suche finden wir zum Glück ein Schneefeld, auf dem wir hinunter und über den Bach kommen. Auf der anderen Seite führt ein steiles Geröllfeld aus der Schlucht hinaus. Je mehr wir uns dem Pass nähern desto sandiger wird der Untergrund. Immer grössere Flächen sind nun völlig vegetationslos. Da im Laufe des Tages der Wind immer stärker geworden ist, werden wir nun immer wieder von Staubwolken eingehüllt. Manchmal wähnt man sich fast in einem Sandsturm. Vom Pass aus sehen wir, dass über dem Langagil eine riesige Staubwolke hängt. So entscheiden wir hier hinter einer Kuppe Mittagsrast zu machen. Gleich daneben fliesst auch ein Bächlein. So haben wir ja neben Windschutz auch gleich noch frisches Wasser — meinen wir zumindest. Der vermeintliche Windschutz taugt überhaupt nichts und das Wasser stellt sich als mit Sand und Algen versetzt heraus. Wir taxieren es als nur im Notfall trinkbar. Aber wir haben ja noch genug Wasser dabei. So muss Raimund auch nicht heute auf seine tägliche Mittagssuppe verzichten. Ich ziehe es vor mich rein ‚trocken‘ zu verpflegen. Nach dem Essen machen wir eine kurze Siesta, denn es ist, trotz des immer noch starken Windes, in der Sonne angenehm war. Wenn nur der ständige feine Sand in den Augen und zwischen den Zähnen nicht wäre. Es ist fast noch schlimmer als der sandige Zeltplatz von vorgestern Nacht. Während dem Abstieg zum Langagil lässt der starke Wind rasch nach. Nun wirbeln nur noch von Zeit zu Zeit einzelne Windböen Sand auf. So ist das Gehen wieder viel angenehmer. Nachdem es für ein paar Minuten überhaupt nicht mehr gewindet hat, bläst uns plotzlich ein kühler Wind aus Süden ins Gesicht. Die Windrichtung hat sich innert kurzer Zeit gedreht. Nach zirka 2 km verengt sich das breite Tal des Langagils zu einer unbegehbaren Schlucht. Diese muss über den südostseitigen Berghang umgangen werden. Erneut stehen wir unvermittlet vor einer steilen Schlucht. Auch diese ist auf der Karte nicht als solche zu erkennen. Wir sehen zwar überraschenderweise Fussspuren, können aber vorerst nicht herausfinden wo sie hinführen. Nach kurzer Suche finden wir eine steile Schutthalde, bis zum Bachbett hinunter begehbar ist. Mitten im Hang treffen wir auch wieder auf vereinzelte Fussspuren. Also scheinen wir richtig zu sein. Unten angekommen sind zwei Bäche zu furten. Für die Füsse ist die Abkühlung im kalten Wasser eine Wohltat. Auf der Karte ist allerdings nur ein Bach eingezeichnet. Wir sind verwirrt. Wir sind zweifellos auf dem richtigen Weg, haben aber keine Ahnung wie wir aus der Schlucht zur Djupá, einem der Hauptabflüsse des Siðujökulls, hinüberkommen. Nach einer längeren Suchaktion kommen wir zum Schluss, dass wir nur über eine sehr steile, zirka 50 m hohen Grashalde hinauskommen. Der Aufstieg ist eine richtige Plackerei. Oben angekommen merken wir aber sofort, dass sich die Anstrengung
gelohnt hat. Wir haben den richtigen Hügelrücken erwischt. Hier können wir zur Djupá hinüberqueren. Schon von weitem hört man den tosenden Gletscherfluss und kurze Zeit später können wir ihn auch sehen. Für heute haben wir alle bekannten und unbekannten Schlüsselstellen hinter uns.

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Es ist geschafft. Vom Bergrücken können wir in das Tal der Djupá hinunterschauen.

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Blick nach Nordwesten: im Hintergrund rechts die Hágöngur, links der Siðujökull

Hinter der Djupá breitet sich der Siðujökull aus, auf dem wir im letzten Jahr drei Nächte im Sturm verbracht haben. Nun haben wir noch gut 4 km entlang der Djupá bis zum ins Auge gefassten Zeltplatz vor uns. Dies wird zunehmend zu einer Überwindungssache, denn der Tag hinterlässt mehr und mehr seine Spuren. Von Süden her kommen plötzlich einzelne Nebelschwaden das Tal der Djupá herauf. Die Orientierung wird dadurch schwieriger. Die Momente mit guter Sicht reichen aber um problemlos weiterzukommen. Kurz vor dem Ziel müssen wir nochmals auf einen Bergrücken ausweichen, da das aktuelle Flussbett der Djuá ganz nahe am östlichen Talrand verläuft. Zuletzt stehen wir unverhofft an einer letzten Furt. Gleich in den Sandalen gehen wir noch 150 m bis zum Zeltplatz. Heute haben wir 19,7 km zurückgelegt.
Kurz nach 20 Uhr steht das Zelt, danach gibts das Nachtessen. Ein paar hundert Meter unter uns steht eine Nebelwand, die von der Küste heraufdrückt. Das sieht toll aus. Zeitweise steigt der Nebel bis zu uns herauf und hüllt alles in einen weissen Schleier ein. Ein paar Minuten später ist der Nebel jeweils wieder weg und die Sicht klar. Nach einem Kaffee gönnen wir uns noch einen Blick auf die Djupá, die sich kaum 50 m neben unserem Zelt durch eine enge Schlucht zwängt. Raimund will gleich wieder furten, ich bin von diesem Spektakel einfach nur fasziniert. Um 22 Uhr ist dann ‚Lichterlöschen‘. Morgen müssen wir wirklich früh raus. 😉

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Eine Wolkenwand schiebt sich von der Küstenregion das Tal der Djupá herauf

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Das Panorama von unserem Zeltplatz aus in Richtung Nordost

Der nasse Teil – Dienstag, 23.7.

Gegen 9 Uhr entscheiden wir uns, dass es Zeit fürs Frühstück ist. Es gibt wie immer: Müesli mit Milchpulver und einen Fertigcacao. In der Nacht war es vorübergend windstill. Nun bläst er aber bei schönem Wetter wieder unvermindert stark aus dem Norden. Man bleibt am besten im Zelt. So sind wir vor so gut wie möglich vor dem Sand geschützt. Aber man gewöhnt sich irgendwie daran. Oder wird man einfach nur apathisch?
Um 10:45 Uhr ist alles wieder zusammengepackt und wir gehen los. Als besondere Herausforderung steht heute die Furt über den Zufluss des Grænalóns auf dem Programm. 🙂 Zuerst haben wir die blendende Idee gleich in südwestlicher Richtung die Schwemmebene zu überqueren. Grosser Irrtum! Schon nach wenigen Schritten gehen wir über etwas, das sich wie Quicksand anfühlt. Also schnellstens zurück um die Ebene nach Westen zu umgehen. Trotzdem schaffe ich es noch bei der wahrscheinlich letzten Gelegenheit mit beiden Beinen im Schlamm stecken zu bleiben und die Schuhe und ein Teil der Hosenbeine vollständig einzudrecken. Am nächsten Bächlein ist daher zuerst mal eine grössere Reinigung angesagt.
Auf dem weiteren Weg steigen wir dann in höhere Gebiete des ehemaligen Seegrundes auf und gehen am Fuss des Grænfjalls entlang über riesige Schotterflächen, die durch kurze steile Geröllhalden miteinander verbunden sind. Immer wieder kommen an mehr oder weniger auffälligen Toteislöchern vorbei. Man tut gut daran das Betreten solcher Stellen zu vermeiden, denn man weiss nie wie gross der vom Sand zugedeckte Eisblock schon abgeschmolzen ist. Eventuell hats darunter nur noch grosses Loch. 🙁

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Schotterflächen des ehemaligen Grundes des Grænalóns

Um ca. 13 Uhr stehen wir dann plötzlich an einer Hangkante und erblicken etwa 50 Höhenmeter unter uns den Zufluss des Grænalóns. Graubraune Wassermassen bewegen sich ziemlich schnell in Richtung See. Von oben suchen eine geeignete Furtstelle. Dies erweist sich als nicht so einfach. Etwa 300 m südöstlich von uns, wo der Fluss eine leichte S-Kurve macht, wollen wir es versuchen. Wir steigen die steile Böschung hinunter um zu sehen was uns dort erwartet. Unten angkommen macht sich Raimund bereit für eine Testfurt ohne Gepäck: Hose aus-, Neoprensocken und Sandalen anziehen und Trekkingstöcke auf lang stellen. Los gehts! Schon vor der Flussmitte muss er aber wieder umkehren, zu tief und zu reissend. Der direkte Weg geht alsonicht. Es ist auch nicht die beste Idee eine grösseren Gletscherfluss erst zur Mittagszeit furten zu wollen. Trotzdem scheint uns die Stelle für die Furt geeignet und wir suchen nach alternativen Wegen. Über die Breite des Flusses verteilt hat es ein paar Schotterinseln. Von Insel zu Insel, das ist zwar ein weiter Weg, auf jeden Fall einen Versuch wert. Raimund stürzt sich wiederum uns Wasser und kommt dieses auch mal wohlvehalten auf der anderen Seite an. Ich filme ihn dabei. Nun muss er nur wieder zurück um seinen Rucksack zu holen und dann zum letzten Mal den Fluss zu queren. Zuletzt mache auch ich auf den Weg. Schon bald stehe ich bis zu den Knieen im Wasser und die Strömung ist ziemlich stark. Langsam taste ich mich von Insel zu Insel voran. Noch ein letzte tiefe Stelle vor dem Ufer. Dann bin auch ich drüben. Neoprensocken zum Furten können in Island wirklich nur empfohlen werden. Raimund behauptet auch nach 5 Flussdurchquerungen im vielleicht knapp 2 Grad warmen Wasser im noch keine kalten Füsse zu haben. Nun machen wir zuerst einmal eine längere Mittagspause mit einer heissen Suppe. Der Wind bläst zwar immer noch, aber in der Sonne ist es angenehm warm. Ab und zu können wir beobachten wie sich am gegeüberliegenden Prallhang eine Schuttlawine löst und in den Fluss abrutscht. Das löst jeweils im eine grössere Flutwelle aus. Nur gut das sowas nicht passiert während wir den Fluss querten.

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Blick vom Rastplatz nach nordost über den Seegrund auf den Grænafjall.

Gut eine Stunde später gehen wir weiter. Wir wollen heute noch mindestens bis zur nächsten Furt an der Mið-Bergvatnsá. Dieser Gletscherfluss soll laut Berichten immer relativ viel Wasser haben. Wir glauben daher nicht, dass wir am späteren Nachmittag noch über den Fluss kommen. Gleich geht es wieder rund 200 m in südwestlicher Richtung hinauf auf einen Pass. Oben angekommen sehen wir in der Ferne bereits die Mið-Bergvatnsá. Von weitem sieht sie gar nicht so schlimm und Raimund ist sicher, dass man sie auch zu dieser Zeit noch hinüber kommt. Wir fassen daher ins Auge nach der Furt eventuell noch weitet zu gehen. Kurz vor der Mið-Bergvatnsá ist noch ein Quellwasserbach zu durchwaten. Das dahinter liegende Lavafeld gefällt uns so gut, dass wir um 18 Uhr das Tagwerk spontan als beendet erklären. Nachdem das Zelt aufgebaut ist kann es Raimund nicht lassen eine Testfurt durch die Mið-Bergvatnsá zu machen. Da kommt man tatsächlich zur Zeit auch Abend noch problemlos durch. Am Schluss legt er noch einen Stein ans Ufer. So können wir morgen messen um wieviel der Pegel über Nacht gesunken ist. Zurück beim Zelt gibts zum ersten Mal auf dieser eine etwas gründlichere Köperwäsche. Danach Nachtessen und vor dem Schlafen noch einen Kaffee und etwas lesen. Der Wind bläst immer nich unvermindert stark. Zum Glück ist hier der Sand nich ganz so fein wie gestern und zumindest teilweise mit Vegetation bedeckt. So sandet es nicht so stark.

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Ausblick von unserem Zeltplatz nach Westen über das Lavafeld, im Hintergrund die Hágöngur und der Vatnajökull

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Ausschnitt aus der 50’000er Karte mit dem Grænalón (Ausgabejahr: 1990). Eingezeichnet sind: die Stelle, an der wir den Gletscher verliessen (Gl2, an dieser Stelle ist das Eis heute rund 25 m tiefer), unser Zeltplatz vom Vortag (Camp, wir schliefen mitten im See) und die Furtstelle des Grænalón-Zuflusses (Furt1, diese liegt mitten im ehemaligen See)

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